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Zollkiesel statt Meilensteine
Digitaler Zettelkasten eines chronisch Neugierigen

Fotografie: die Frage ist nicht analog oder digital
04.05.2025
Anzahl Worte: 1281

Fotografie analog oder digital

In seinem Blogpost „Ist die analoge Fotografie noch zeitgemäß?" Link ↗ fragt Holger, ob analoge Fotografie noch zeitgemäß ist, nachdem er mehrmals versucht hat, sich damit anzufreunden. Eine der ersten Antworten kam von Erik Schlicksbier Link ↗, in der er darlegt, dass er die analoge Fotografie hinter sich gelassen hat. 

Ihr wisst ja, was jetzt kommt: Armin muss da seinen Senf dazu geben. 😉 Aber warum auch nicht? Ich bin nach wie vor von der Fotografie begeistert. Meine erste Kamera habe ich zum Abschluss der Grundschule bekommen und war dann bis 2001 (das sind immerhin über knapp über 25 Jahre) analog unterwegs. In der Foto-AG der Schule habe ich Laborarbeit gelernt, von S/W in offenen Schalen bis hin zu Farbentwicklung “zu Fuß” ohne Prozessor und mit Trommeln. Ich habe von den 126er Pocketfilmen über Mittelformat bis Kleinbild viele Negativformate ausprobiert und da der Lehrer der Foto-AG auch unser Chemielehrer war, diverse “unkonventionelle” Dinge (schon mal mit Kaffeepulver und Vitamin C entwickelt? Netterweise hat dazu jemand anders schon geschrieben Link ↗. Während meiner Wehrdienst-Zeit hatte ich dann das Fotolabor und war für internes und externes Bildmaterial zuständig (das ist ein langweiligerer Job als Du jetzt denkst). Genug Erfahrung mit dem Handwerkszeug war also da. Ende der 90er kamen dann die ersten Digitalkameras auf den Markt und wurden von den “echten” Fotografen verlacht (was denn sonst, die Home Computer und PCs haben ja auch alle “richtigen” EDV-Fachkräfte ausgelacht). Heute lacht niemand mehr.

Ab 2001 hatte ich eine kleine Canon IXUS mit der wahnwitzigen Auflösung von 1600x1200 Pixeln und ab 2003, als ich schweren Herzens eine vierstellige Summe für eine Canon EOS 10D auf den Tisch des lokalen Fotohändlers legte, war das Kapitel analoge Fotografie dann abgeschlossen. Natürlich gab es noch zwei oder drei Mal im Jahr eine Fotolabor-Session im zur Dunkelkammer umfunktionierten Bad und den Vergrößerer habe ich erst 2020 weg gegeben, aber das war eigentlich nur noch Nostalgie. Damit sind es dann schon fast ebenfalls wieder 25 Jahre, in denen ich mit diversen Digitalkameras unterwegs bin.

OK, ich mache also nichts mehr analog und bin jetzt auch Pixelschubser. Ende Blogpost. Frage von Holger beantwortet?

Ganz im Gegenteil. 😎 Ich möchte auch etwas ganze anderes heraus, das mir auffiel, als ich im Blogpost von Erik las, als er schrieb: “Ich habe in den Scans keinen einigen Mehrwert in der Nutzung der analogen Kamera gesehen”.

Und die Bilder haben mich wirklich kalt gelassen. Ich habe in den Scans keinen einigen Mehrwert in der Nutzung der analogen Kamera gesehen. Das Bild ist weder spannender, noch konzentrierter, noch cooler noch irgendwie besser.
– Erik Schlicksbier in seinem Blogpost

Es geht gar nicht darum, ob ich analog oder digital unterwegs bin. Es geht darum, ein Bild zu machen, dass dich oder andere auf irgendeine Weise berührt. Wenn es das richtige Bild ist, dann ist es egal, ob es Silbermoleküle oder ein CCD-Sensor waren, die das Bild geschaffen haben. Auch die handwerkliche Ausführung ist dann innerhalb einer gewissen Bandbreite nebensächlich. Sei es “The Kiss by Hotel de Ville” von Robert Doisneau, das “Earthrise"-Bild von Astronaut William Anders, um nur zwei Beispiele einer nahezu unendlichen Reihe zu nennen, wenn das Foto “interessant” ist, dann ist es ein gutes Foto. Völlig nebensächlich, wie es entstand, denn die Kamera ist das Werkzeug, auch die Ausrüstung der Dunkelkammer oder das Bildbearbeitungsprogramm. Es geht darum, das Bild zu sehen und dann, wenn es im Auge des Fotografen ist, dann ist der Moment, wo das Equipment dieses Bild persistent werden lässt.

Wie oben geschrieben, laufe ich seit einem halben Jahrhundert zeitweise mit einer Kamera durch die Gegend. Bin ich deswegen ein guter Fotograf? Keineswegs! Wer denkt, Golf sei ein demütigender Zeitvertreib, sollte sich mal der Fotografie zuwenden. 😎

Ich habe viele Fotos in Büchern und Ausstellungen und online gesehen und studiert. Hätte ich die auch machen können? Bei manchen ja, aber ich habe sie nicht gemacht, denn ich war nicht zu der Zeit an diesem Ort. Und wenn ich es gewesen wäre, hätte ich das Bild wahrscheinlich nicht gesehen oder anders gesehen. Das ist meiner persönlichen Meinung nach der Knackpunkt. Nicht analog oder digital.

Digital ist schön, weil weniger Sauerei, es stinkt nicht nach Essigsäure, ich kann meine Bilder bequem im Wohnzimmer bearbeiten und sortieren, aber digital macht keine besseren Bilder. Das Bild zu sehen und etwas dabei zu fühlen, das macht “bessere”, weil interessantere oder bewegendere Bilder.

Ein sehr interessantes Buch, das ich immer wieder durchblättere und von dem ich wünschte, es wäre schon vor 40 Jahren erschienen (dann wäre ich inzwischen möglicherweise ein besserer Fotograf) ist “Die Seele der Kamera” (…und die Rolle des Fotografen) von David duChemin. Jede Kamera ist ein Gerät, ein Werkzeug. Ein Bild, das berührt, spricht die Seele an und die hat nur eine Fotografin oder ein Fotograf. Daher muss alles wichtige für ein Bild aus dem Kopf der Person hinter der Kamera kommen.

Das bedeutet nicht, dass die Beherrschung des Werkzeugs egal ist oder dass die eine Kamera für alles reicht, das habe ich nirgendwo geschrieben. Das ist Handwerkskunst, die muss gelernt werden. Wenn ich im richtigen Moment erst 5 Sekunden fummeln muss, weil ich mein Werkzeug und dessen Bedienung nicht beherrsche, dann ist der Moment vorbei.

Dies ist meiner Meinung nach der Punkt, der die ganze Diskussion endgültig in Richtung Digital verschoben hat. Die beste Kamera ist die, die Du dabei hast! Der rührseligste Moment ist verloren, wenn Du dastehst und denkst, “wenn ich doch nur die Kamera dabei hätte”. Einem solchen Moment nachzutrauern, bringt übrigens auch nichts. Fass es als Lernen auf. Ich war vor ein paar Jahren im Urlaub dem dem Hund unterwegs und wollte deswegen nicht die Kameratasche mitschleppen. Das kleine Kind, das sich hingebungsvoll mit seinem kleinen Hund eine Tüte Eis teilte, wäre ein nahezu perfektes street photography S/W-Portrait geworden, aber ich hatte die Kamera nicht dabei. Bis meinen Hund hingesetzt und ich das Smartphone aus der Tasche hatte, war der Moment vorbei. Ich habe das Bild als Erinnerung in meinem Kopf, aber das Foto wird es nie geben. Aber ich habe etwas daraus gelernt. 😉

Es gibt allerdings einen Aspekt bei diesem Werkzeug bzw. dem Equipment, wo die digitale Welt dem Blick der Fotografin im Wege stand und das war Fotografie in Schwarz-Weiß. Die Leistungen der frühen Sensoren kam einfach nicht an die Möglichkeiten analogen Films und eines guten Papiers heran. Gerade bei “available light” und Portraits war das eine Einschränkung. Wer jemals mit einem Kodak T-Max 3200 fotografiert hat, weiss, was ich meine, alle anderen müssen mir glauben. 😉

Auch das ist ein Punkt wo, um bei duChemin zu bleiben, die Seele der Kamera das Echo der Seele des Fotografen ist. Schwarz-Weiß. Hier muss ich das Bild im Kopf haben (ob wie Ansel Adams komponiert oder wie Tim Page oder Nick Ut intuitiv wissend). Ich fotografiere nur sehr ungern (außer die üblichen Urlaubs-Knipsereien) Portraits in Farbe. Es geht nicht um die Farbe bei Portraits, es geht um die Person. Ted Grant hat das perfekt formuliert.

Wenn Du Leute in Farbe fotografierst, fotografierst Du ihre Kleidung. Aber wenn Du Leute in Schwarz-Weiß fotografierst, dann fotografierst Du ihre Seele!
– Ted Grant, kanadischer Fotograf

Die wirklich interessante Frage ist also nicht, ob analoge Fotografie noch zeitgemäß ist. Interessant sind zwei andere Fragen, die sich jede Person stellen sollte, die ein Bild macht: berührt mich oder andere das Bild in irgendeiner Form und habe ich eine Kamera bereit?

Fotografiert mit dem, was Ihr dabei habt. Macht spannende, berührende, coole, erschreckende oder künstlerische Bilder. Aber macht Bilder und habt dabei ein Gefühl in Euch. Einfach draufdrücken, der Technik freie Hand lassen und dann später versuchen, daraus ein “interessantes” Bild zu machen, wird fast nie funktionieren. Das ist knipsen, nicht fotografieren.


Lizenz für diesen Post CC-BY-SA 4.0


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