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Zollkiesel statt Meilensteine
Digitaler Zettelkasten eines chronisch Neugierigen

Gänsehaut-Gedanken (VPG anyone?)
27.05.2025
Anzahl Worte: 786

Gänsehaut, Hühnerhaut oder Goosebumps…

Wer kennt das nicht? Es stellt einem im Wortsinne die Haare auf, die Haut sieht aus wie ein gerupftes Federtier und ein Schauer läuft über die entsprechenden Hautpartien.

Das vegetative Nervensystem steuert die Kontraktion der Haarbalgmuskeln (lat. Musculus arrector pili), was zum Aufrichten des Haarfollikel führt und sich die Körperbehaarung sichtbar aufrichtet. Durch die Muskelkontraktion kommt es an den Haarwurzeln zu einer kleinen Erhebung, was den visuellen Eindruck einer gerupften Gans (z.B. Bayern, Österreich, Südtirol) oder einer gerupften Hühnerhaut (z.B. Voralberg, Schweiz, Frankreich, Spanien) ähnelt. Wissenschaftlich wird dies als Piloerektion bezeichnet. Die genauen Mechanismen sind bis heute nicht eindeutig erklärt, ebenso ob diese Reaktion beim Menschen ein Relikt zur Wärmespeicherung durch das Luftpolster ist oder ein Überbleibsel der Drohgebärden.

Und warum dann der Blogpost?

Ich stelle immer wieder fest (so auch kürzlich bei einem Gespräch, deshalb der Blogpost), dass ich etwas kann, was die überwiegende Mehrheit der Leute nicht kann: ich kann willentlich eine Gänsehaut erzeugen. 😎

Interessanterweise kann ich das wahlweise einmal oder als sich überragende Wellen von zwei oder drei “Gänsehäuten”. Obwohl ich im Internet immer wieder mal von Personen lese, die die gleiche Fähigkeit haben, kenne ich im persönlichen Umfeld niemand.

Wissenschaftlich nennt sich das dann “voluntarily generated piloerection” oder VGP und die Ursachen dafür sind noch viel weniger erforscht als die einer normalen Gänsehaut. 😉 Die Standardstudie dazu ist "The voluntary control of piloerection" by James AJ Heathers, Kirill Fayn, Paul J Silvia, Niko Tiliopoulos, Matthew S Goodwin von 2018.

Diese Studie stellt die Kernfrage gleich an den Anfang des Textes:

Das autonome oder vegetative Nervensystem im menschlichen Körper wird so genannt, weil es funktioniert, ohne dass wir es merken. Eine seltene Ausnahme ist die freiwillig erzeugte Piloerektion (VGP) – die bewusste Fähigkeit, Gänsehaut zu bekommen –, deren physiologische Untersuchung, soweit wir wissen, auf drei Einzelfallstudien beschränkt ist. Über die physiologische Natur und die emotionalen Zusammenhänge dieser Fähigkeit ist nur sehr wenig bekannt.

Wie beeinflusse ich den Teil meines Nervensystems, der “eigentlich” willentlich nicht beeinflusst werden kann? einige Personen mit der VGP-Fähigkeit geben an, dass ihre VGP mit psychologischen Zuständen einhergeht, die mit affektiven Zuständen (z. B. Ehrfurcht) und Erfahrungen (z. B. Musik hören) verbunden sind, sowie mit einer überdurchschnittlichen Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen. Andere können durch bestimmte körperliche Aktionen (z.B. das Bewegen der Ohren nach hinten) und eine Kontraktion eines Teils der Nackenmuskulatur eine VGP erzeugen.

Einige interessante persönliche anekdotische Antworten finden sich auch unter dieser Frage im Forum der Mayo-Klinik. Und dank meiner Fähigkeit muss ich auch nicht im Internet suchen, wenn ich ein Beispielfoto brauche. 😆 Ich muss mich allerdings auf den Arm beschränken, denn meinen eigenen Rücken zu fotografieren klappt nicht mit einer Hand.

Eine Gänsehaut am Arm

Eine weitere Studie "Volitional Control of Piloerection: Objective Evidence and Its Potential Utility in Neuroscience Research" by Kenji Katahira, Ai Kawakami, Akitoshi Tomita, Noriko Nagata von 2020 bestätigt im Prinzip die Ergebnisse der Studie von 2018 und stellt fest, dass es hier interessante Forschungsfragen zu klären gibt. Immerhin… 😎

Eine VGP kann nicht nur durch bestimmte emotionale Zustände, sondern wie oben bereits beschrieben auch die körperliche Aktionen oder aber durch mentale Aktivität ausgelöst werden. Bei mir funktioniert sowohl der “Ohren nach hinten und den Nacken leicht anspannen"-Auslöser (der meist nur zu einer einfachen Welle führt). Anderseits kann ich durch das bewusste Aufrufen von Gedankenmustern und Erinnerungen reproduzierbar mehrere VGPs hintereinander auslösen.

Da das autonome Nervensystem (in Deutsch auch oft als vegetatives Nervensystem bezeichnet) ist eigentlich kein Ort für Einmischung durch den willentlichen Teil unseres Bewusstseins. Hier werden Vitalfunktionen wie wie Atmung, Verdauung und Stoffwechsel, Blutdruck, Herzfrequenz, Körpertemperatur, Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt gesteuert. Andererseits gibt es Menschen, die durch mentale Aktivitäten wie Meditation oder durch Trainings wie Biofeedback in ihr autonomes Nervensystem eingreifen können. So sind beispielsweise Veränderungen der Herzfrequenz, des Blutdrucks, der elektrodermalen Aktivität und der Pupillenreaktion dokumentiert.

Ich selbst durfte noch zu meiner Schulzeit einen Benediktiner-Mönch kennen lernen, der auf seinem Weg ins Kloster auch Umwege über eine Motorrad-Gang und eine Ausbildung zum Zen-Meister in Asien genommen hatte (und noch einiges mehr 😎). Dieser Mensch konnte sich in Shorts in T-Shirt in den Schnee setzen und dann seine Durchblutung und den Herzschlag so weit herunter regeln, dass nach Stunden Meditation nicht mal der Schnee geschmolzen war und er einen Ruhepuls hatte, der eines entspannten Elefanten würdig gewesen wäre.

Seitdem frage ich mich, welche “Brücke” ich wohl in mein autonomes Nervensystem habe (ein, zwei andere Dinge habe ich schon entdeckt 😉). Die einzige Gemeinsamkeit, die ich online finden konnte, waren eine große Offenheit für neue Eindrücke, ein gewisser Grad an ADHS (früher hieß das noch “Hyperaktivität”) und hohe Empathie.

Naja, immerhin wißt Ihr jetzt, dass ich keinen spannenden Film oder eine emotionale Musik brauche, um mir eine Gänsehaut zu verpassen. 😉

Tags: science life

Lizenz für diesen Post CC-BY-SA 4.0


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