Zollkiesel statt Meilensteine
Digitaler Zettelkasten eines chronisch Neugierigen
Zollkiesel statt Meilensteine
Digitaler Zettelkasten eines chronisch Neugierigen
“Der Sommer geht zu Ende”, so lautet der Titel eines italienischen Sommerhits aus der Mitte der 1980er Jahre. Wer nochmal im Righeira/LaBionda-Pop schwelgen möchte, hier ist der Link zum Video.
Der letzte Tag im August. Ein Sonntag. Ab morgen ist September, der meteorologische Herbstanfang, in drei Wochen sind die Nächte wieder länger als die Tage. Aber nicht heute. Heute am späten Nachmittag streife ich mit Chico durch die Wiese der Flutmulde, die Wärme eines perfekten Spätsommerabends auf der Haut und blinzle in die tiefstehende Sonne. Vor vier Monaten, Ende April kamen wir aus von einer Woche in der Toskana zurück, wo wir eine Vorschau auf die warme Jahreszeit erleben durften und nun stehe ich hier im goldenen Licht der Spätsommersonne und denke darüber nach, dass vier Monate in der Zukunft bereits das neue Jahr beginnt und die Tage endlich wieder länger werden werden.
Dieser Sommer war sehr schön, auch wenn er jetzt zu Ende geht. Nicht nur meteorologisch schön (für den Grundwasserspiegel immer noch zu schön), sondern auch erlebnismäßig schön. Schon Mitte Mai hatte Andrea Glück mit dem Maifest im Kindergarten, das bei strahlender Sonne stattfand. Wir konnten draußen auf der Terrasse den Morgenkaffe trinken, in den Gartenkräutern herum zu zupfen und zusehen, wie die Olivenbäume ebenfalls von der warmen Jahreszeit profitieren. Chico schnüffelte an den Mohnblumen, wir machten lange Spaziergänge die Flutmulde entlang, wo er mit anderen Hunden spielt, wissend, dass es noch Wochen dauern wird, bis der Höhepunkt der Jahreszeit erreicht sein wird. Auch wenn die eine oder andere medizinische Überraschung meiner Frau dafür gesorgt hat, dass sie wunderbare Frühsommersonnenuntergänge vom Bett im Krankenhaus bewundern konnte, auch das ging glücklicherweise gut aus. Toi, toi, toi!
Ich durfte Woche für Woche erleben, wie sich die Pflanzen dort verändern, jede Woche andere Blüten auftauchen. Beim Heimgehen war da immer der Gedanke im Kopf, dass die Tage noch länger werden. Was für Farben und welch ein Unterscheid zu den matten freudlosen Farben des Spätwinters noch ein Vierteljahr vorher! Diese Abwechslung von der Arbeit am Bildschirm und die Bewegung habe ich diesen Sommer bewusst genossen und auch die unterschiedlichen Eindrücke von superheißem Mittagsspaziergang über eine sommerliche Dusche, weil ich sturer war als das Wetter bis hin zum lauen Sommerwind am Abend mit Blick auf die sich im Wind wiegenden langen Gräser kurz vor dem Sommerschnitt und das duftende Heu ein paar Tage später.
Im Juni dann Abends um nach 9 Uhr im Biergarten das Nachlassen der Sommerhitze und den beginnenden Sonnenuntergang genießen, ein kühles Getränk vor Dir. Was für ein herrlicher Moment! Andere fahren zu uns in Urlaub, wir haben das ein paar Minuten vor der Haustür.
Auch beim Einsteigen ins denke ich jetzt zurück an den Sommer. Klar, es wurde mir schlagartig bewusst, dass wir eine echt „heisse Karre“ fahren, vor allem beim Anfassen des Gurtschlosses. Oder die Momente, wenn einem nach dem Öffnen der Türe erst einmal eine Brise Nordafrika entgegen weht, die Dich nach Luft schnappen lässt. Aber es war schön, die Wärme am Rücken zu spüren am späten Nachmittag, die Abendsonne im Rücken und die dunkelste Sonnenbrille auf, mit der ich noch fahren darf.
Natürlich, was mussten wir auch ein Auto kaufen, das mir einer schwarzen Lederausstattung beworben wurde. 😆 Bald kommt nun wieder die Zeit, wo jedes bisschen Wärme, dass durch die Fenster kommt und die Sitze anwärmt, wieder ein heiß ersehntes Ereignis wird. Wenn aus der Klimaanlage wieder eine Heizung werden wird und die Herbstkühle sich in das Leder der Sitze schleicht. Dann werden die Gedanken an sommerliche Fahrten in Italien eine Erinnerung sein, die mich die grauen Tage überstehen lässt.
Mit am schönsten war dieser Sommer, wenn ich auf der Vespa unterwegs war, die warme Luft um mich und der blaue Himmel über mir. Und dann konnte ich den Sommer in all seiner Pracht genießen, eine Woche lang durch Italien bis in die Maremma bei teilweise über 35 Grad. Unter dem Blau des italienischen Himmels mit der roten Vespa durch die grünen Ecken der Toskana streifen, nach Jahrzehnten wieder andächtig in San Galgano stehen und den Schwalben zusehen, während über dem Getreidefeld vor der Abteiruine die Insekten tanzen und der Duft der Wildkirschen von den Bäumen am Wegesrand herüber weht.
Wenn im Herbst die verschwitzen Handschuhe und der flimmernde Asphalt nur noch eine Erinnerung sind, dann bringen die Bilder auch wieder die Wärme und das Dahingleiten zurück, den Duft von Sand und Pinien an den Strassen am Meer entlang oder die Sonnenblumen in den Hügeln der Toskana. Die Vespa am Strand parken, aufs Meer blicken und einfach träumen, die Zeit anhalten.
Wenn ich nun mit Chico nach Hause gehe, aus der Sonne komme und einen schattigen Teil des Wegs nach Hause entlang gehe, dann ist die Wärme weg und die Brise trägt die Kühle des Oktobers und des Herbstes bereits in sich. Waren vor ein paar Wochen Shorts und ein T-Shirt noch fast zu viel an Kleidung, so schleichen sich bei etwas Wind oder nach Sonnenuntergang die ersten Gedanken an eine Windjacke oder einen Pullovers ins Hirn.
Es gibt diesen Sommerhit aus Italien, der Mitte der 80er überall zu hören war — „l‘estate sta finendo“, der Sommer geht zu Ende. Im September werden auch in Italien die Strände leerer, die endlos langen Sommerferien der italienischen Kinder gehen zu Ende und man spricht von „fine stagione“, dem Ende der Saison.
Und nun, was tut der Einzelhandel, um dem Sommerende-Blues etwas entgegen zu setzen? Er macht mir ohne Gnade klar, dass das Jahr weiterläuft und Schwelgen in Erinnerungen und Sommerträumen den Lauf der zeit nicht aufhält. Noch in den letzten Augusttagen tauchen Paletten voller Spekulatius und Lebkuchen auf!
Doch noch sind die Blätter grün, die Mittagszeit warm genug für T-Shirt und Shorts, der Himmel oft blau und der Kühlschrank enthält noch genug gekühlte Getränke von Limonade bis Radler, um den Gedanken an den Herbst für einige Wochen nach hinten zu schieben.
Ein paar Mal noch bei schönem Wetter die Gegend erkunden, einen Ausflug machen, Schäfchenwolken am Himmel sehen und sich erinnern, wie schön die Zeit seit Mai war. Und wenn sich die Blätter dann verfärben, im Oktober die Zeit der Volksfeste zu Ende geht, die Dingolfinger wie immer die „letzte Wies‘n Bayerns“ feiern, dann hilft der Gedanke daran, dass in fünf bis sechs Monaten die Tage wieder länger sind und die Nacht besiegen, das Grün in der Natur wieder dominieren wird und bunte Blüten den nächsten Sommer ankündigen. Die Zeit bis dahin füllen die Erinnerungen und das Betrachten der Fotos.
L‘estate sta finendo, ma il sogno continuerà…
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