ePortfolio in der Schule?
Ich werde den Begriff zu Beginn gleich mal um 10% verständlicher machen. Ich entferne dazu das “e” am beginn des Wortes »ePortfolio«. Warum? Weil mit Ausnahme bestimmter Künstler niemand mehr ein analoges Portfolio führt. Wir haben Ende 2020.
Auf Twitter habe ich (auf dem Männerparkplatz des Bekleidungsgeschäfts sitzend) auf Twitter eine interessante Frage von Kathrin Grün gelesen:
Eine wirklich interessante Frage, denn nachdem die Verwendung von Portfolios aus den Bereichen Kunst und Wirtschaft Ende der 90er in den schulischen Bereich wanderte (und heute keine flächendeckende Verwendung findet 😉), bekommt das Thema seit einigen Jahren zumindest mehr Aufmerksamkeit. Dazu spricht Kathrin in ihrem Tweet gleich ein Problem an, welches die alten analogen Portfolios nicht hatten:
Mahara fällt raus, da es unabhängig von einer bestimmten Schule funktionieren muss.
– @MrsGreenGER
Es entwickelte sich schnell eine interessante Diskussion, die zwei Dinge zeigt: erstens ist Twitter nicht ohne Grund einer meiner Lieblingsquellen für mein PLN und zweitens zeigen schon die ersten Tweets im Thread, warum Kathrin mit ihrer Einschränkung Recht hat. Frag’ vier Leute und Du bekommst sechs Tools empfohlen. 😉
An dem Punkt fing ich (bis auf sporadische Fragen meiner modetechnisch beschäftigten Frau unterbeschäftigt1) an, mir zu dem Thema Gedanken zu machen, da dieses Thema im Frühsommer bereits einmal relevant war. Warum das für diesen Port relevant ist? Weil eine Werkstudentin in meinem damaligen Team genau in diese Portfoliosoftware-Falle getappt war. Was nützt ein cooles Tool für das Führen eines Portfolios, wenn Du nach der Uni nichts damit anfangen kannst? Die Geschichte diese mühseligen Migration ist ein eigener Blogpost, aber ich hatte mir damals versprochen, dass ich einhake, sollte dieses Thema wieder in meinem Sichtfeld auftauchen. Also, noch können Sie flüchten – hier wäre eine Panda-Webcam 😄
Portfolio? Gibt’s da was von …?
Bevor ich zum Thema Software komme (das ist nämlich ein viel späterer Schritt als der erste?), zuerst einmal die Anwender-Orientierung. Ein Portfolio soll von Schülerinnen und Schülern (ab hier jetzt kürzer einfach »SuS«) erstellt und gepflegt werden. Eine Lehrkraft unterstützt nur. Damit ist ein Akzeptanz-Kriterium schon vorgegeben: wenn das Ding nicht von SuS auf einfache Art und Weise bedient werden kann oder irgendwelche kryptische Anwendungen (die evtl. dann noch nicht mal sauber auf einem Smartphone laufen) erfordert, ist es raus.
Der zweite Punkt ist exakt das Problem meiner Werkstudentinnen-Kollegin: all die Mühe, die in ein Portfolio gesteckt wurde, ist verloren, wenn die neue Schule, die neue Hochschule oder der mögliche Arbeitgeber eine andere (oder eben gar keine) Portfolio-Software nutzt. Blöd. Und unnötig. Dazu muss das Portfolio aber gleich so unabhängig erstellt werden, dass dies kein Hindernis darstellt. Egal welche der vielen Apps, die im Twitter-Thread genannt wurden; sie sind alle ungeeignet für ein längerfristiges Portfolio.
Die geneigte Leserin denkt sich jetzt möglicherweise “Hu? Welchen Sinn sollte denn ein kurzfristiges Portfolio haben?”. Berechtigte Frage. Wir befinden uns allerdings im Universum der Schule und da kommen sofort Fragen wie diese ein paar Tweets später:
Deine ePortfolios werden aber schon nach einem Schuljahr gelöscht, oder Katrin? Nicht dass man hier auch mit dem Datenschutzfinger auf dich zeigt…
Um den SuS zu vermitteln, was ein Portfolio überhaupt ist bzw. wie dieses angelegt wird, kann ein kurzlebiges (und nicht zu umfangreiches) Portfolio durchaus sinnvoll sein. Allerdings ist hier die Auswahl des Ansatzes noch viel wichtiger, denn welchen Sinn hätte es, Kenntnisse zu vermitteln, die für die spätere Bildungslaufbahn nicht nutzbar sind. Irgendeine App macht hier noch weniger Sinn als bei einem dauerhaften Portfolio. Ein kursorischer Streifzug durch die Softwarewelt kann sinnvoll sein, allerdings ebenfalls erst in einem späteren Schritt. Nämlich dann, wenn die SuS gelernt habe, wofür ein Portfolio dient, welche Inhalte sinnvoll sind und nach welchen Kriterien Software ausgewählt wird.
Und was soll da rein?
Die Perspektive der Lehrerinnen und Lehrer für ein Portfolio richtet sich vorrangig auf die Schule und eventuell noch die Uni danach. Abgesehen von der Frage der verwendeten Software hört eine Bildungskarriere allerdings schon lange nicht mehr nach der Uni auf oder verläuft ohne Unterbrechungen. Ein Portfolio ist auch nicht mehr nur die “Bewerbungsmappe”, die es mal war. Auch dazu finden sich in diesem Thread Tweets:
Wichtig ist dabei auch sich über die vielfältigen ePortfolio-Arten Gedanken zu machen. Da gibt es viele Möglichkeiten, die man erstmal nicht auf dem Schirm hat. Entwicklungs-Portfolio, Dokumentations-Portfolio, …
– Andreas Schenkel, @rettiwtaccount
Neben der Dokumentation der eigenen Erfolge und der eigenen Lernreise im Sinne des lebenslangen Lernen erfüllen Portfolios heute eine Reihe von Aufgaben, die nur optional in einem individuellen Portfolio enthalten sind: Entwicklung, Dokumentation, Reflexion, Darstellung und Verknüpfung von Artefakten, Auswahl und Präsentation. Eine weitere Anforderung ist daher, dass die »Artefakt-Sammlung« u.U. deutlich größer als die »Artefakt-Präsentation« sein wird. Diese Zusammenstellung muss ebenfalls leicht von den SuS geändert werden oder unterschiedliche Version der Präsentation gewählt werden können. Eine Lösung, die nur eine einzelne Sicht gestattet, ist damit auch ungeeignet.
Own your stuff
Ein Thema, das mir an Herzen liegt, ist das der »digitalen Sourveränität«. Das mag hochgegriffen klingen, ist IMHO aber sehr wichtig. Die großen (und kleineren) Plattformen können gerne genutzt werden, aber niemals, um dort den eigentlichen Content zu hinterlegen, sondern immer nur als “Ankündigungs- und Verlinkungs-Plattform”. Was ich damit meine: ein Artikel wird nicht bei Medium, Wordpress, LinkedIn oder sonstwo veröffentlicht. Sondern auf einer Plattform, über die ich die Kontrolle habe. Dann wird in einem kurzen Artikel auf den eigentlichen Inhalt hingewiesen und darauf verlinkt. Wie auf Twitter: “Hallo, ich habe dies und das geschrieben, hier ist der Link…”
Es gibt genügend Beispiele, wo Plattformen eingestellt wurden, ihr Geschäftsmodell geändert haben oder nicht mehr kostenlos sind. Ein Portfolio ist wie ein Blog eine auf längere Zeit geplante Aktivität, daher ist es umso problematischer, wenn Du auf einmal virtuell “auf der Strasse stehst”. Schon aus diesem Grund würde ich mein Portfolio niemals einer Plattform anvertrauen, die entweder proprietär ist oder von einer Institution betrieben wird, der ich nur temporär angehöre.
Kann ich den Inhalt zumindest in einem Standard-Format mitnehmen, dann besteht noch eine gute Chance, bei einem Wechsel mein Portfolio mit zunehmen. Einige Teilnehmer am Thread haben als Werkzeug das Tool “Mahara” vorgeschlagen, eine ePortfolio-Software (open source, akt. in Neuseeland weiterentwickelt). Dieser Vorschlag hat zum einen das Problem, dass Mahara zwar im Bildungsbereich etwas verbreiteter ist als andere Anwendungen, allerdings für Lerner nach der (Hoch)Schule uninteressant. “Aber man kann Portfolios doch aus Mahara exportieren und importieren”, höre ich einen ganzen Chor anstimmen. Jetzt kommt allerdings der Punkt, an dem die Sachen anfängt, lustig zu werden. Was kann Mahara denn exportieren?
Ich kann mein Portfolio als ZIP-Datei aus HTML-Seiten exportieren? Oh, wie herrlich? Kann mir mal jemand sagen, warum ich dann nicht gleich mein Portfolio als Sammlung von HTMl-Seiten anlege? Also eine klassische Website, die mit jedem dummen Browser vom neuesten Smartphone über alle Rechner bis hinunter zu Text-Terminals und der Kommandozeile genutzt werden kann? Ah, Mahara kann auch noch »LEAP2A«, das ist natürlich etwas ganz anderes!
LEAP2A is an XML standard based on ATOM, i.e. it uses the elements from ATOM plus extensions. “Information in LEAP2A is grouped into items, each represented as an Atom entry. Each item has a LEAP2A type or class, and the type affects which literal attributes, relationships or categories that may be associated with the item.
– Auszug aus dem LEAP2A-Standard
Das sieht dann so aus. Erinnert sich jemand, dass die Zielgruppe Schülerinnen und Schüler sind? Die erstmal lernen sollen, was ein Portfolio ist und welche Vorteile das bietet? Wie viel Prozent der Lehrkräfte aus dem Twitter-Lehrerzimmer können mit mir über Syntax, Namespace und Inhalt eines solchen Dokuments diskutieren?
Viel Spaß damit, wenn Sie das nicht wieder in ein anderes Portfolio-Tool, das genau die gleiche Version von LEAP2A unterstützt, schieben wollen. Und eigentlich, dazu komme ich gleich, will ich so ein System nicht, weil es außerhalb der Schule schlagartig zum Exoten wird.
Own your stuff bedeutet auch, dass jemand in der Lage ist, diesen »Stuff« selbst zu bearbeiten und zu verwalten. Bevor jetzt jemand vor dem Monitor auf und ab tanzt und “Aber ich will kein HTML lehren, sondern Portfolios” knurrt, lassen Sie die Fackeln und Mistgabeln stecken. Niemand, der nicht muss, schreibt heute noch HTML. Das Zauberwort heißt »Markdown«. Wer sich dazu in zehn Minuten einlesen möchte: hier habe ich dazu geschrieben.
Zu dieser digitalen Souveränität gehört auch, eine eigene Domain, also einen eigenen Auftritt im Internet zu besitzen. Wie will ich etwas auf meiner Homepage präsentieren, wenn ich wieder keine Kontrolle über die URL zu dieser Präsentation habe? Wenn Sie also noch nicht ihren Namen (für die meisten Namen hätten Sie dazu vor ca. 20 Jahren mit dieser Idee ums Eck kommen müssen, die Digitalisierung ist außerhalb der Schule nämlich gelaufen) als Domain registriert haben, dann sichern Sie sich jetzt eine Domain. Ja, eine Domain unabhängig von einem Webspace oder Hoster, denn Domain-Registrar und Hoster oder Serveranbieter sollten eben u.a. aus diesem Grund getrennt sein. Das eine ist wie eine der Zettel mit einer Adresse, da kann ich eine andere drauf schreiben und “umziehen”. So sorgen Probleme mit dem Hoster nicht dafür, dass ihre digitale Existenz auf der Kippe steht.
Fazit
Was ist die Essenz aus diesen obigen knapp 1500 Worten?
- Erst klären, welchen Nutzen ein Portfolio hat und welchen “Typ” jemand haben will
- Portfolios müssen eine Artefaktsammlung ermöglichen, auf die nur Lernende selbst Zugriff haben
- Es müssen mehrere Sichten/Präsentationen eines Portfolios möglich sein
- Verknüpfungen der Artefakte müssen einfach und für unterschiedliche Medientypen möglich sein
- Die Erstellung des Portfolios muss für SuS möglich sein und keinerlei kryptische Bedienung erfordern
- Die Kontrolle über den digitalen Ort des Portfolios immer selbst behalten
- “Own you stuff” ist einer Grundvoraussetzungen digitaler Souveränität
Wenn jemand jetzt diese Liste liest und denkt, “Hoppla, das liest sich ja wie Hypertext und eine ganz normaler verlinkter Webauftritt mit verschiedenen Seiten zur Präsentation” – Gratulation! Mehr braucht es nämlich nicht für ein Portfolio. Es sind auch keine HTML-Kenntnisse oder eine jahrelange Ausbildung als Webentwickler nötig, sondern etwas Markdown-Kenntnisse und elementare informatische Bildung zum Umgang mit Dateien und dem Internet.
Denken Sie immer daran, dass die Perspektive “Schule” allein nicht ausreicht. Die Notwendigkeit lebenslangen Lernens wird glücklicherweise immer deutlicher und damit ist alles, was nur im begrenzten Kontext von Schule und Hochschule genutzt wird, sinnlos. Es gibt in der Wortschaft so viele verschiedene Portfolio-Managment-Tools, wie es Software für Personalabteilungen gibt, also bleibt auch hier nur das Führen eines persönlichen Portfolios. Alles was dazu notwendig ist, lässt sich in wenigen Stunden lernen, die besser investiert und langfristig nutzbringender sind als Klickwissen zu einem Tools anzusammeln. Dann macht es mehr Sinn, mit einer einfachen Textverarbeitung ein Dokument zu erstellen, das nach HTML zu konvertieren und auf die eigene Homepage zu stellen.
Wer jetzt neugierig ist, was der Autor als Portfolio-Seite hat: https://www.arminhanisch.de/portfolio (das ist die “Arbeitgeber-View”). 😉
Fragen und Diskussion gerne auf Twitter!
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Damit hier keine Missverständnisse entstehen: ich halte mich bei sowas mit Kommentaren zurück, bis ich gefragt werden, bemühe mich dann aber um konstruktive Antworten und äußere ehrlich meine Meinung. Die Operation »Wintermantel« wurde übrigens erfolgreich abgeschlossen. 😄 Meine Süße wird diesen Winter nicht frieren und das Teil sieht schick aus. Falls mitlesende Männer hier ein Happy End erwarten: wir mussten noch Winterstiefel kaufen. 😯 🤣 … ↩︎